Generationswechsel bei Tauwetter
Liebe Kolleg*innen, Kampfgefährt*innen, Wegbegleiter*innen und Freund*innen,
zum 1. Oktober werde ich nach fast 30 Jahre Tätigkeit Tauwetter verlassen und in den Ruhestand gehen. Als wir damals aus der Selbsthilfe heraus Tauwetter gegründet haben, hätte ich mir nie träumen lassen, was daraus einmal wird und wie lange ich dabei bleiben werde. Es sind lange Jahre gewesen und ich habe viele tolle Menschen bei der Arbeit kennenlernen dürfen.
Jetzt ist es an der Zeit zurückzutreten und an eine neue Generation zu übergeben. Ich habe das Privileg gehabt, mit dem neuen Tauwetter-Kollektiv noch meine letzten drei Jahre zusammenarbeiten zu dürfen und bin mir sicher, dass Tauwetter bei Ihnen in guten Händen ist. Mit allen Fragen und Anliegen können Sie / könnt ihr euch also vertrauensvoll an sie wenden.
Die Arbeit als betroffener Mann* für betroffene Männer* ist für mich persönlich immer der zentrale Teil in der Arbeit gegen sexualisierte Gewalt gewesen. Wenn ich heute betrachte, was wir geschafft haben, so finde ich das manchmal unglaublich wieviel das ist; manchmal erfüllt es mich einfach mit Dankbarkeit; und manchmal macht es mich auch wütend, denn es ist immer noch zu wenig. Der Fortschritt ist weniger daran zu merken, dass das Glas nun je nach Sichtweise halb voll oder halb leer ist; er besteht darin, dass wir heute ein Glas zum befüllen haben. Das war 1995 anders.
Ich möchte mich an dieser Stelle für die viele Unterstützung, für den Zuspruch, für die gute Zusammenarbeit und auch für den Widerspruch und den Streit bedanken (auch letzteres gehört dazu). Ohne diese Resonanz wäre die Arbeit nicht so lange möglich und nicht so erfolgreich gewesen. Ohne dies wäre Tauwetter heute nicht mehr da. Von einigen (diejenigen, um die es geht wissen, wer gemeint ist) fällt mir der Abschied schwer, da sind Freundschaften entstanden und ich hoffe, wir sehen uns mal irgendwo wieder. Mit anderen hat sich nicht so viel Nähe entwickelt, aber sie sind gute Bündnispartner*innen gewesen – ich hoffe das war auch umgekehrt so. Auch das ist ok, denn der gemeinsame Kampf gegen sexualisierte Gewalt erfordert gerade auch Bündnisse zwischen Menschen und Organisationen, die sonst nicht so viel miteinander zu tun hatten. Also weiter so.
Ich wünsche Ihnen allen / Euch allen eine erfolgreiche und zufriedenstellende Arbeit und viel Kraft, denn die wird es auch weiterhin brauchen.
Danke und alles Gute
Thomas (Tommi) Schlingmann