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Anlaufstelle, für Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren

© 2015 Tauwetter e.V.

Wir gehen davon aus, dass Du, wenn Du diese Seite liest, vor Kurzem festgestellt hast, dass Du sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen bist, sei es in der Kindheit, der Jugend oder im Erwachsenenalter. Für die Allermeisten ist diese Erkenntnis ein Schock und begleitet von dem Zweifel, ob das wahr sein kann oder vielleicht doch nur Einbildung ist. Das ist vollkommen normal und es ist allen von uns, die wir hier bei Tauwetter arbeiten, mal mehr, mal weniger so gegangen.

Sexualisierte Gewalt  ist etwas Unglaubliches, das jeden Rahmen sprengt. Es ist nicht einfach zu fassen und auch nicht mal eben so zu verarbeiten. Einige Menschen brauchen länger für die Bearbeitung dessen, was ihnen passiert ist. Andere schaffen es, das in ihr Leben zu integrieren ohne Folgen davon zutragen.

Wichtig ist für Dich im Moment zu wissen: Es gibt einen Weg daraus! Im Prinzip hat jede*r Mensch die Möglichkeit, die widerfahrene Gewalt von einem bösen Horrortrip, der das Leben bestimmt, zu einer vergangenen, wenn auch schmerzhaften Phase seines Lebens zu machen. Dafür braucht es Kraft, Energie, aber auch Hilfe und Unterstützung.

Es gibt einen Weg daraus und auch wenn ich den aktuell nicht erkennen kann, bedeutet das nicht, dass es ihn nicht gibt. Diese Erfahrung haben wir selber und auch die Männer* und TIN*, die zu uns gekommen sind, gemacht. Als eine erste Hilfe, die natürlich kein direktes Gespräch mit guten Freund*innen oder in einer Beratungsstelle ersetzen kann, im Folgenden einige Hinweise.

Keine Panik:

Du hast es überlebt. Die sexualisierte Gewalt ist vorbei. Selbst wenn es Dir jetzt unmöglich erscheint: Du kommst auch durch die aktuelle Situation durch!

Nimm Deine Gefühle ernst:

Vielleicht bist Du beispielsweise nicht sicher, ob Du sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen bist. Oder Du kannst Dich nicht an Einzelheiten erinnern, sondern hast "nur" vage Vermutungen oder einen Verdacht. Wichtig ist besonders: Nimm Dich und Deine Gefühle ernst! Natürlich kommt es vor, dass Erinnerungen sich verändern, aber unserer Erfahrung nach kommt es nicht vor, dass so etwas wie das Gefühl, irgendwann tief verletzt worden zu sein, völlig grundlos auftaucht. Darum kannst Du Deinen Gefühlen trauen.

Zum Ernst nehmen gehört auch, genau mit Deinen Erinnerungen umzugehen. Erinnerungen und Schlussfolgerungen sind zwei verschiedene Dinge. Mach langsam. Mit der Zeit wirst Du klarer sehen. Und wenn ich nicht weiß, wer der/die TäterIn war: Ein schlechtes Gefühl z.B. zu meinem Vater oder zu einer anderen Person ist erst einmal Grund genug, auf Abstand zu gehen und vorsichtig zu sein - solange, bis ich genauer weiß, wo das Gefühl herkommt.

Es ist o.k., wie es Dir jetzt geht:

Egal, wie Du Dich fühlst, versuche es zu akzeptieren, wie es ist. Das heißt nicht, dass Du alles gut finden sollst. Aber sich selbst (seine Situation und seine Gefühle) zu verdammen bringt selten was. Mit der Zeit wirst Du sicherlich einiges ändern, aber um loszugehen, muss ich als erstes klar bekommen, wo ich mich befinde. Das bedeutet in diesem Fall nichts zu leugnen, zu verdrängen oder wegzudrücken. Im Gegenteil: es gilt als erstes nüchtern zu akzeptieren, dass es mir so geht, wie es mir jetzt geht. Im nächsten Schritt kann ich dann überlegen, was ich ändern kann und will.

Such Dir Hilfe:

Du kannst Dich schnell überfordern, wenn Du alles allein und mit Dir selbst ausmachen willst. Rede mit guten FreundInnen, denen Du vertrauen kannst. Hol Dir Hilfe in Anlauf- und Beratungsstellen. Einige findest Du auf unserer Website auf der Adressenseite, es gibt auch das Hilfeportal der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung. Manchmal können auch Selbsthilfe - oder Nachbarschaftszentren weiter helfen. 

Schütze Dich selbst:

Überlege Dir, mit wem Du reden willst. Wappne Dich innerlich davor, dass Dein bester Freund, Deine beste Freundin oder Deine Familie von dem Thema möglicherweise nichts wissen wollen oder sogar verletzend reagieren. Solche Erfahrungen mussten leider viele von uns machen. So ein Verhalten muss gar nicht böswillig sein. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, und brauchen Zeit, sich darauf einzulassen.

Such Dir einen realen, sicheren Rückzugsraum:

Wenn es Dir schlecht geht, brauchst Du einen Raum, in den Du Dich zurückziehen kannst. Das kann eine regelmäßige, feste Zeit sein, die Du Dir freihältst, um Dich nur um Dich zu kümmern. Oder es ist ein Ort, an dem Du ungestört bist, Dich wohl fühlst und den Du Dir gestalten kannst. Bei einigen von uns war es das eigene Zimmer oder eine Kuschelecke, bei anderen ein Platz irgendwo draußen im Grünen. Einige haben sich an einem öffentlichen Ort unter Menschen am sichersten gefühlt, z.B. mitten in einem Café, wo ihnen niemand besondere Beachtung schenkte.

Du brauchst nichts zu überstürzen:

„Jetzt muss sofort etwas passieren!" - Wenn Du diesen Druck verspürst, ist das verständlich. Dennoch haben Veränderungen ihren eigenen Rhythmus und brauchen ihre Zeit. Es läuft Dir nichts davon. Es gibt keinen Zwang jetzt sofort Anzeige zu erstatten, den Täter zu konfrontieren oder was auch immer. Das Wichtigste in dieser Situation ist Boden unter die Füße zu bekommen. Vorschnelle Schritte können leicht nach hinten los gehen. Deshalb ruhig vorgehen, ohne Zwang und Hektik, nicht überstürzt, sondern überlegt.

Tu Dinge, die Dir gut tun und Kraft geben:

Wenn die Aufdeckung der sexualisierten Gewalt gerade erst stattgefunden hat, kann es schnell passieren, dass Deine Gedanken 24 Stunden am Tag nur noch um das eine Thema kreisen. Das ist am Anfang auch o.k., denn nach einer solchen Erinnerung geht wohl niemand einfach so zur Tagesordnung über. Auf Dauer ist die permanente Beschäftigung mit der widerfahrenen sexualisierten Gewalt aber nicht produktiv. Sie frisst nämlich Energie und ich habe bald keine Kraft mehr. Deshalb ist es wichtig, dass Du darauf achtest, Dinge zu tun, die Dir gut tun. Manche denken, dass geht doch in so einer Situation gar nicht. Es ist in der Tat schwer, sich in so einer Situation auf angenehme Dinge einzulassen – aber es ist notwendig. Einigen hat es geholfen, sich mit anderen zu verabreden, weil sie z.B. alleine nie ins Kino gegangen wären oder zum Laufen oder in eine Ausstellung.

Du bist nicht allein:

Es gibt andere Männer* und TIN*, die ebenfalls sexualisierte Gewalt erfahren haben. Jedes Jahr melden sich allein hier bei Tauwetter in Berlin mehrere Hundert Betroffene. (Es ist davon auszugehen, dass in Deutschland insgesamt zwischen 2 und 4 Millionen betroffene Männer* leben.) Und nicht wenige von diesen haben es nicht nur geschafft, die sexualisierte Gewalt zu überleben, sondern auch sie erfolgreich zu bearbeiten. Sie leben heute ein wesentlich zufriedeneres Leben als vorher.

Wenn Du willst, kannst Du versuchen mit anderen Betroffenen Kontakt aufzunehmen. Das kann über Anlauf - und Beratungsstellen gehen, aber auch über das Internet. Leider müssen wir inzwischen sagen: Pass dabei gut auf Dich auf, im Netz versuchen z.B. Neonazis Betroffene einzufangen, selbsternannte Fachleute bieten „Beratung", die oft mehr dem eigenen Ego dient, als den Ratsuchenden hilft.

Auf unserer Adressenseite findest Du Hinweise auf Angebote im Bundesgebiet.

Du kannst Dich natürlich auch direkt an uns wenden.

 

Viel Kraft, alles Gute und viel Erfolg auf Deinem Weg.

Das Tauwetter-Team

Letzter Eintrag: 05.12.2023

Adresse

Tauwetter e.V.
Gneisenaustr. 2a  
10961 Berlin
030 - 693 80 07

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