Ich war sexualisierter Gewalt ausgesetzt, muss ich jetzt eine Therapie machen?

Nein, es gibt keinen Zwang eine Therapie zu machen:

  1. Gibt es viele Menschen, die es ohne bewußte Bearbeitungsprozesse nach sexualisierter Gewalt ein zufriedenstellendes Leben zu leben.
  2. Auch wenn ich vorhabe, die mir widerfahrene sexualisierte Gewalt zu bearbeiten gibt es Alternativen zu einer Therapie, die nicht nur ein billiger Ersatz sind, sondern eigenständige Bearbeitungsformen mit Vor- und Nachteilen.
  3. Es gibt gute Gründe, keine Therapie zu machen. Das kann von individuellen Gründen (z.B. ich will mich nicht in ein Abhängigkeitsverhältniss begeben, was ähnlich ist, wie bei der sexualisierten Gewalt), über strukturelle Gründe (z.B. ich will dieses einseitige, hiererchische Verhältnis nicht) bis zu finanziellen Gründen (z.B. wenn ich eine Therapie über die Krankenkasse abrechne, habe ich eventuell Schwierigkeiten hinterher bestimmte Versicherungen abzuschließen, weil ich als psychisch gestört diagnostiziert wurde) reichen.

Die Abhängigkeit

Viele haben sexualisierte Gewalt erlebt, bei der ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wurde. Wenn ich mich jetzt in eine Therapie begebe, kann schnell eine psychische Abhängigkeit entstehen vor allem, wenn ich keine anderen Personen habe (ein Umfeld, andere Betroffene, eine Selbsthilfegruppe), mit denen ich immer wieder kritisch reflektieren kann, was in der Therapie geschieht. Wenn ich nach außen verstecke (verstecken muss), dass mir sexualisierte Gewalt widerfahren ist oder dass ich Therapie mache, gibt es zudem einen ähnlichen Geheimhaltungsdruck, wie oftmals mit der sexualisierten Gewalt verbunden. Je mehr Menschen ich habe, mit denen ich offen sprechen kann und die mich in Krisen unterstützen, um so besser. Therapeut*innen sollten um diese Gefahr wissen, sie von sich aus thematisieren und wenn ich es anspreche nicht abblocken.

Die Hierarchie

Therapie ist aufgrund ihrer Struktur ein hierarchisches Verhältnis. Die eine Person ist in einer hilfsbedürftigen Situation, die andere nicht. Gute Therapeuten und Therapeutinnen wissen um dieses Gefälle. Einige ignorieren diese Hierarchie und tun so, als würde sie keine Rolle spielen, andere gehen offener damit um und sprechen z.B. mit mir ab, was sie an die Krankenkasse in ihrer Diagnose und ihren Berichten schreiben. Je klarer und kritischer ich selber bin, und je mehr ich mich traue nachzufragen, desto mehr kann ich trotz aller Schwierigkeiten eine Therapie produktiv für mich nutzen.

Ein weiterer Faktor der hierarchieverstärkend sein kann, ist die Tatsache, dass alle therapeutischen Schulen der Ansicht sind, Therapeut(*innen) sollten nicht offen legen, wenn sie selber Betroffene sind. Nur wenige Therapeut(*innen) handhaben das anders. Real läuft das darauf hinaus, dass ich einem Menschen vertrauen soll, der mir nicht einmal die geringste Kleinigkeit von sich zeigt.

Die finanzielle Seite

Nur wenigen ist bekannt, dass eine Psychotherapie weitreichende finanzielle Konseqenzen haben kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn sie über die Krankenkasse finanziert wird. Damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, muss der*die Therapeut*in eine Diagnose erstellen. Das bedeutet dass festgehalten wird, dass ich eine psychische Störung entsprechend den internationalen Klassifikationsschemen habe. Störung ist das moderne Wort für Kankheit. Falls ich später bestimmte Versicherungen wie z.B. Lebensversicherungen aber auch einige Unfallversicherungen abschließen will, muss ich angeben, ob sich Vorerkrankungen habe. Dazu zählen auch psychische Störungen. Wenn ich jetzt schreibe, was diagnosdtiziert wurde, bekomme ich oft die Versicherung nicht. Wenn ich es verschweige und es kommt raus, erlischt der Versicherungsschutz. Es wäre also sinnvoll, rechtzeitig  vor Therapiebeginn entsprechende Versicherungen abzuschließen oder die Therapie privat zu bezahlen  - aber wer kann das schon.

Es empfiehlt sich deshalb, vorher zu überlegen, welche Diagnose ich am ehesten verkraften könnte und ggf. mal im Internet nachzulesen, welche Symptome zu welchem Krankheitsbild gehören. Am besten wäre aber, es wäre möglich mit dem*der Therapeut*in abzusprechen, welche Diagnose aufgeschrieben wird.

Die "therapeutische Beziehung"

Ob eine Therapie erfolgreich ist, hängt weniger vom Verfahren, als von der „therapeutischen Beziehung", d.h. vom Verhältnis zwischen dem Therapeuten bzw. der Therapeutin und mir ab. Je mehr meine Meinung und Einschätzung in der Therapie zählt, je mehr ich angenommen werde, wie ich bin - und nicht in Schubladen gepresst werde und mich anpassen muss -, je weniger mein Gegenüber eigene Unsicherheiten hinter der Maske der Professionalität versteckt und je mehr er oder sie sich auf mich einlässt, desto größer sind die Chancen auf eine gute „therapeutische Beziehung". Je besser ich artikuliere, was ich will, je offener ich in Kontakt gehe, je genauer ich auf meine Grenzen achte und darauf was mir gut tut, desto mehr Chancen auf eine erfolgreiche Therapie habe ich. Aber wie bei den Selbsthilfegruppen gilt auch hier: Wenn ich das alles schon könnte, würde ich nicht über Therapie nachdenken. Es kommt also auf das richtige Maß an.

Therapeutische Angebote

Therapeutische Angebote lassen sich unterteilen in Einzeltherapie und gruppentherapeutische Angebote.

 Die Therapiesuche

Wenn ihr bis hierher euch durchgelesen habt, und entschlossen seid, eine Therapie zu machen, dann müsst ihr immer noch eine*n passende*n Therapeut*in finden. Dabei ist das eine, Adressen zu finden (dazu unten mehr). Das zweite ist zu prüfen, ob der*die Therepeut*in euren Vorstellungen entspricht. Dabei spielt das Vorgespräch eine zentrale Rolle und ihr solltet es gut vorbereiten und nachbereiten.

Datenbanken mit Therpeut_innen

Informationen über Psychotherapie finden sich auch auf der Seite des Psychotherapie-Informations-Dienstes  www.psychotherapiesuche.de des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Dort befindet sich auch eine Datenbank mit Therapeut*innen. Traumatherapeut_innen lassen sich über das EMDR-Ausbildungsinstitut www.emdria.de finden. Eine weitere Datenbank mit Psychotraumatolog*innen findet sich auf der Seite der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie.

Letzter Eintrag: 25.01.2024