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Anlaufstelle, für Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren

© 2015 Tauwetter e.V.

Viele sind der Meinung, eine Konfrontation mit dem Täter (oder der Täterin) wäre etwas, das sie tun müssten, um die Folgen der sexualisierten Gewalt los zu werden. Einige wollen dem*der Täter(*in) einmal richtig ihre Meinung sagen. Andere hoffen, wenn sie nur mal richtig erklären könnten, wie es Ihnen gegangen ist würde der*die Täter(*in) verstehen, was sie angerichtet haben, es bereuen und sich entschuldigen. Dritte denken, dann mit dem Thema abschließen zu können und wieder andere hoffen auf eine Versöhnung.

Manchmal ist in der Tat solch eine Konfrontation wichtig, aber noch häufiger spielt das gar nicht so eine große Rolle in der Bearbeitung. Gleichzeitig ist eine Konfrontation immer eine riskante Sache und es geschieht leider immer wieder, dass eine vorschnelle oder nicht ausreichend vorbereitete Konfrontation in einem Fiasko für die Betroffenen mündet. Eine Konfrontation sollte also gut vorbereitet sein und ich sollte sie dann durchführen, wenn ich mich sicher fühle ihr gewachsen zu sein. Dabei spielt eine große Rolle, dass ich mich mit meinen Erwartungen oder Hoffnungen nicht in eine neue Abhängigkeit von dem*der Täter(*in) zu begeben. Es gibt auch andere Wege den*die Täter(*in) in die Schranken zu weisen und aus meinem Leben raus zu bekommen.

Der folgende Text stammt von einem Mann, der verhältnismäßig spät in seinem Bearbeitungsprozess eine Konfrontation mit dem Täter durchgeführt hat, und über seine Erfahrungen berichtet.

„Vorweg:

Im Verlauf Deines Heilungsprozesses wirst du vielleicht irgendwann an den Punkt kommen, dass Du den Täter oder die Täterin konfrontieren möchtest. Eine erfolgreiche Konfrontation kann eine große Erleichterung für das eigene Lebensgefühl sein.

Es kann aber auch viele Gründe geben, von einer Konfrontation abzusehen. Eine Konfrontation ist nicht absolut notwendig für Deinen Heilungsprozess.

Wenn Du Dich gerade mit dem Gedanken an eine persönliche Konfrontation beschäftigst (es gibt auch die schriftliche Möglichkeit), kann der folgende Text eine Hilfestellung zur Vorbereitung sein.

Mit dem Fragebogen möchte ich Dir helfen, diesen Schritt möglichst gut vorzubereiten. Und er soll helfen, die Konfrontation für Dich erfolgreich durchzuführen. Erfolgreich heißt, dass Du hinterher das Gefühl hast, das erreicht zu haben, was Du Dir vorgenommen hast!

Allerdings: eine Konfrontation kann auch im Misserfolg enden! Der schlimmste Misserfolg, den ich mir vorstellen kann ist der, erneut von dem*der Täter(*in) zum Opfer gemacht zu werden. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: von verbaler Beschimpfung und Verächtlichmachung bis zur Androhung oder Anwendung körperlicher Gewalt. Alle von dem*der konkreten Täter(*in) realistischerweise zu erwartenden Reaktionen solltest Du einkalkulieren. Und überlege Dir gut, welchen von diesen Reaktionen Du glaubst, mit Stärke und Klarheit begegnen zu können, und welche Dich wahrscheinlich umwerfen bzw. verletzen werden.

Grundsätzlich glaube ich, dass Du den Zeitpunkt einer Konfrontation besser aufschiebst, als ihn ein Jahr, einen Monat, oder auch nur eine Woche zu früh zu wählen. Entscheidend dafür ist Dein Gefühl, Dich dem Vorhaben gewachsen zu fühlen.

Außerdem solltest Du eine Konfrontation auf keinen Fall alleine durchkämpfen, sondern Dir die Hilfe und Unterstützung von mindestens einer vertrauten Person sichern. Das ist schon für die Vorbereitung zu empfehlen, gilt aber ganz besonders für die Durchführung selbst!

Fragen zur Vorbereitung einer Konfrontation

Wieso denkst du gerade jetzt an eine mögliche Konfrontation mit dem*der Täter(*in) oder beginnst sie zu planen?

  • Gibt es dafür einen zeitlichen (z.B. Täter(*in) könnte bald sterben) oder gefühlsbedingten Druck (Du hältst es nicht mehr aus; dir geht's gerade so schlecht und erhoffst dir davon eine Lösung)?
  • Wird von anderen psychischer Druck auf dich ausgeübt (z.B. von deinem*r Therapeuten*in, von Freund*in, Partner*in, einer Gruppe)?

Nur du selbst bestimmst den richtigen Zeitpunkt! Wer immer dich dazu drängt, wenn du dazu noch nicht bereit bist, ist ein*e schlechter Berater*in. Das ist keine Hilfe oder Unterstützung, sondern unerwünschte und anmaßende Einmischung. Manchmal versuchen andere deinen Weg zu beschleunigen, weil sie etwas an deiner Geschichte nicht aushalten - aber das ist nicht dein Problem.

Was wünschst du dir als Erfolg (Dein Schweigen brechen; Täter(*in) öffentlich mit der Tat anklagen; den eigenen Druck, die seelische Belastung loswerden und abgeben ...)?

  • Was müsste passieren, damit du die Konfrontation für dich als erfolgreich durchgeführt siehst?
  • Sind die Wünsche speziell angesichts dieses*r Täters(*in) realistisch?

Was befürchtest du, kann daneben gehen (schlimmste Befürchtungen)?

  • Was für eine Reaktion erwartest du realistisch von dem*der Täter(*in)?
  • Was erwartest oder befürchtest du vom Umfeld (Familie, Ehepartner*in) des*der Täter(*in) an (zusätzlichen) negativen Reaktionen?

Machst du dir vielleicht Sorgen, du könntest den*die Täter(*in) mit der Konfrontation zu sehr belasten, weil er*sie gerade körperlich krank oder psychisch instabil ist?

  • Befürchtest du dasselbe eventuell von einem*r der nahen Angehörigen des*r Täter(*in)?

Gibt es für dich Unterstützer*nnen, Eingeweihte, Verbündete (auch aus dem Umfeld des*der Täter(*in) bzw. der gemeinsamen Familie)?

  • Wie haben sie dir bisher geholfen, wie können sie dich weiter unterstützen?
  • Glaubst du, dass sie auch bei einer Konfrontation zu dir stehen werden?

Wie war dein Kontakt in den letzten Jahren zum*zur Täter(*in)?

  • Welche Abhängigkeiten gibt es zur Zeit noch, die dir die Konfrontation erschweren (finanziell, gefühlsmäßig...)?
  • Was für uneingelöste Wünsche, Erwartungen oder Forderungen hast du noch an den*die Täter(*in) (Unterstützung mit Geld zu deinem Lebensunterhalt; Erbschaft in Sicht; der*die Täter(*in) soll dir heute das geben, was dir als Kind zustand: z.B. Geborgenheit, Sicherheit, deine Grenzen respektieren, dich in den Arm nehmen, dich beschützen; Täter(*in) soll seine*ihre Tat zugeben und bedauern)?

Wo soll die Begegnung stattfinden (Im Haus/Wohnung des*der Täter(*in); in deiner Wohnung; an einem neutralen Ort)?

  • Wo wohnst du während dieser Zeit, falls die Begegnung nicht an deinem Wohnort stattfindet (In einem Hotel; bei Freunden; bei einem deiner verbündeten Familienangehörigen)?

Du solltest auf keinen Fall bei dem*r Täter(*in) wohnen, denn damit begibst du dich in eine Abhängigkeit, die zu beenden du ja gerade dort bist. Deren Wohnung oder Haus sind ihr unmittelbarer Machtbereich, so dass sie dich nach Belieben rausschmeißen können, was bei einer Konfrontation sehr wahrscheinlich ist. Diese Ohnmachtserfahrung solltest du dir besser ersparen.

Wer begleitet dich bei der Konfrontation und unterstützt dich?

  • Was soll dein*e Helfer*in machen, um dir zu helfen (Nur dabei sein und möglichst wenig eingreifen; Dir immer wieder Mut zusprechen; Dich im geeigneten Augenblick - aber nur auf deine Bitte hin - in den Arm nehmen und trösten; Mit darauf achten, dass dich der*die Täter(*in) nicht (verbal) verletzt, als Lügner*in darstellt oder für verrückt erklärt; Dir das rechtzeitige Beenden der Konfrontation signalisieren)?

Was genau willst du bei der Konfrontation sagen? (Die übergriffigen / verletzenden Handlungen genau benennen; oder allgemein von sexuellem Missbrauch oder sexualisierter Gewalt oder Vergewaltigung sprechen)

Wie lange soll die Begegnung höchstens dauern?

  • Bei welche (negativen) Reaktionen des*der Täter(*in) brichst du das Gespräch besser vorzeitig ab?

Bestimme den Anfang, die Dauer und das Ende der Konfrontation auf jeden Fall selbst und warte nicht unbedingt auf mögliche Reaktionen deines Gegenübers. Das Entscheidende ist, dass du das sagst, was du dir zu sagen vorgenommen hast. Wenn das geschehen ist, hast du das Wichtigste geschafft! Das ist ein guter Zeitpunkt zum Gehen. Gib der Person nicht die Zeit, zum "Gegenangriff" überzugehen!

Hast du Forderungen an den*die Täter(in)?

(Er*sie soll den Missbrauch vor dir eingestehen; soll das vor der ganzen Familie machen; soll das vor dem*der dich begleitenden Unterstützer*in machen; soll sich entschuldigen; soll deine Therapiekosten bezahlen; soll ein angemessenes Schmerzensgeld für dir zugefügte seelische und körperliche Verletzungen zahlen; soll sich z.B. von anderen Kindern/Enkelkindern fernhalten; soll z.B. nicht mehr als Jugendtrainer*in, als Jugendpfarrer*in arbeiten, oder dergleichen - sonst evtl. polizeiliche Anzeige?)

Die von dir erhofften oder verlangten Reaktionen des*der Täter(*in) kannst du gut zu Hause abwarten. Mach dich (und damit den Erfolg der Konfrontation) aber nicht davon abhängig, dass der*die Täter(*in) antwortet bzw. deine Forderungen irgendwie einlöst. Wenn du Forderungen hast, kannst du sie z.B. brieflich abwarten. Sei darauf gefasst, dass statt einer Schuldanerkennung, einer Bitte um Entschuldigung, oder gar einer Entschädigung gar nichts als Antwort kommt. Aber eher noch musst du mit wilden Angriffen, Verleumdungen und Beleidigungen rechnen. Es kann geschehen, dass der*die Täter(*in) gemeinsame Bekannte/Verwandte versucht gegen dich aufzubringen, dich für verrückt erklärt oder dir auf irgendeine Art droht. Je besser du darauf vorbereitet bist, desto weniger kann es dich schocken oder verletzen.

Welche anderen Wege statt einer persönlichen Konfrontation könnten für dich ebenfalls zufriedenstellend, befreiend und denkbar sein?

Dass ich bis hier so viel über die persönliche Konfrontation gesagt habe, heißt nicht, dass andere Formen nicht auch möglich und vor allem auch für dich entlastend und befreiend sein können. (Du kannst z.B. einen Brief schreiben; möglicherweise nicht nur an den*die Täter(*in), sondern auch an dessen*deren Familie bzw. Umfeld, um den*die Täter(*in) öffentlich zu machen. Die persönliche Konfrontation kann z.B. unmöglich, weil für dich gefährlich sein, wenn du den Täter von früher als gewalttätig kennst, und er es möglicherweise heute noch ist.)

Steht der mögliche Gewinn aus einer erfolgreichen Konfrontation in einem angemessenen Verhältnis zu deinen Ängsten davor?

Je mehr du von diesen Fragen für dich klar beantworten kannst, desto besser bist du auf die Konfrontation vorbereitet. Wenn das alles im Einzelnen für dich geklärt ist, dann versuche einmal den geplanten Ablauf Schritt für Schritt durchzuspielen. Lass dich von deinem*er Unterstützer*in in einer Art Rollenspiel mit allen vorhersehbaren unvorhersehbaren Reaktionen des*der Täter(*in) (und des Umfeldes, der Familie) konfrontieren. Du wirst dabei schnell merken, in welchen Punkten du dich sicher fühlst und wobei du unsicher bist, oder wovor du Angst hast. Dann kannst du noch einmal in Ruhe überlegen, ob das jetzt für dich der richtige Zeitpunkt für eine Konfrontation ist.

Lass dich von niemand drängeln - du allein bestimmst den für dich passenden Zeitpunkt!

Eine gute Möglichkeit, um herauszufinden, ob eine Konfrontation jetzt das Richtige ist, ist es, sich dazu beraten zu lassen. Die Entscheidung kann Dir niemand abnehmen, aber Du kannst Unterstützung dabei bekommen."

Adressen von Beratungsstellen befinden sich auf der Seite Adressen. Und natürlich könnt ihr euch mit Fragen auch an uns wenden.

Letzter Eintrag: 07.12.2023

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